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10 28 Little Girl Blue
Ich erinnere mich gut, mit Nina Simone Hausaufgaben gemacht zu haben. Mathe mit "Mood Indigo". Nicht, dass ich die Texte damals schon verstanden hätte, doch Mood Indigo, darunter konnte man sich etwas vorstellen. Und die Musik war so einfach gut. Gesang, Klavier, Besen, Bass.
Es war ein Sampler auf Musikkassette, auf deren Coverfoto sie als eine recht geheimnisvolle Gestalt erschien, groß, schlank, dunkel, ein Tuch exotisch um den Kopf gewickelt und von der Stimmung her ganz sicher eher blau als irgendeine andere Farbe. "Little Girl Blue" war einer der Titel auf diesem Sampler, ein traurigschönes Stück mit märchenhaft hinauf und hinabklingenden Tönen, halb Kinderlied, halb klassisches Klavierstück. Aber Track Nummer Eins auf der Kassette war natürlich "My Baby Just Cares For Me", dieses Stück mit seinem unwiderstehlichen Grundrhythmus. Ich bin recht sicher, das schon als ganz kleines Kind bei meinen Eltern gehört zu haben, es im Grunde also immer schon gekannt zu haben. Im Ohr blieben auch und vor allem die Klaviersolos, so jazzig improvisiert und doch so perfekt, als seien sie fest komponiert. In "Love Me Or Leave Me" zum Beispiel - damals wußte ich noch nicht, dass sie da dem Prinzip nach Bach spielt. Mit den Jahren tauchten andere Sampler im Haushalt auf, nun auf CD, mit anderen, teilweise ganz anderen Aufnahmen von ihr, Stücke mit Orchester und Chor, teilweise recht schwülstig, weit entfernt von jener einfachen Harmonie zwischen Gesang und Klavier. Und auch mit anderen Coverfotos. Nina Simones breites, grinsendes Gesicht, grell geschminkt, mit Glitzer auf den Augenlidern. Kein Geheimnis mehr. Aber auch hier wieder Songs aus diesen ursprünglichen Sessions. "I Loves You Porgy" zum Beispiel. Und als Track Eins natürlich stets und zuverlässig "My Baby Just Cares For Me". Inzwischen haben wir Internet. Was für die Seefahrer vergangener Jahrhunderte die "Entschleierung der Welt" war, ist heute die "Entschleierung der Kultur", oder auch die "Kultur auf Knopfdruck". Alles ist plötzlich verfügbar. Schaurig schön. So entdeckte ich jetzt, zwanzig Jahre später, mehr zufällig, dass die Songs, die ich damals so oft gehört hatte, ursprünglich einmal in einem Zusammenhang standen, und zwar in Form ihres ersten Albums: "Little Girl Blue" hieß es (na, sieh mal an!), erschienen 1958. Erstaunlicherweise versammeln sich darauf genau die Stücke, die mir immer am besten gefallen haben, plus mir bisher unbekannte Instrumentalstücke - und sogar "My Baby Just Cares For Me" ist dabei, allerdings nicht als Nummer Eins. Hier also die Klassiker in der Ursprungsform und Reihenfolge: Ein wenig Geschichte dazu: Bei Entstehung dieses Albums hatte Nina Simone noch Ambitionen, in der klassischen Musik Fuß zu fassen, vielleicht daher die ausgefeilten Solos. Sie konnte und wollte mehr. Das Coverfoto enstand bei einer Foto-Session im New Yorker Central Park, was wiederrum das Instrumental "Central Park Blues" inspirierte. Nach Abschluß der Aufnahmen hieß es von Seiten der Produzenten, man wolle noch eine weitere Up-Tempo-Nummer haben. Simone ging noch einmal ins Studio und es entstand "My Baby Just Cares For Me". Im Folgenden fühlte sich Simone vom Label "Bethlehem" jedoch nicht angemessen vermarktet. Sie wechselte gleich darauf zu einem anderen Label, verkaufte zuvor aber sämtliche Rechte an ihrem Erstling für 3000 $ an Bethlehem. In den 1960er Jahren wurde sie eine Stimme der Afro-Amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Sie führte verschiedene Ehen und verließ sie wieder, hatte auch eine längere Affäre mit dem Premierminister von Barbados. Sie reiste um die Welt und wurde nirgends wirklich glücklich. Menschlich wurde sie immer schwieriger, teilweise sogar aggressiv. Anfang der 1980er Jahre diagnostizierte man bei ihr eine Bipolare Störung. 1986 dann geschah, womit sie selbst sicher am allerwenigsten gerechnet hatte. Eine Werbeagentur grub das bis dahin praktisch nur Jazz-Kennern vertraute "My Baby Just Cares For Me" aus und verwendete es in einem Werbespot für Chanel No 5. Obwohl in dem 30-sekündigen Spot nur einige Takte des Songs zu hören waren, wurde er über Nacht zu einem Hit und Nina Simones Karriere erhielt noch einmal einen kräftigen Schub. Im Grunde wurde sie erst jetzt endgültig zur Jazz-Legende. Finanziell konnte sie davon allerdings kaum noch profitieren, da sie ja 1958 die Rechte an ihrem ersten Album verkauft hatte. Doch bei ihren Konzerten konnten die Menschen den Song nun mitsingen. Hier ist dieser Spot: Was bleibt - ewige Musik. Blues. Indigo...
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10 28 Aus Rainer Maria Rilke
"Die Aufzeichnungen des Malte Laurods Brigge", 1910
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